Dietenbach

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

man kann die Dinge im Leben immer von mindestens zwei Seiten
sehen. Viel Wichtiges erschließt sich überhaupt erst dann. Insofern sei es auch
unserer Fraktion, die wir als Häretiker der reinen Lehre vom Bauen in Freiburg
gesehen werden, gestattet, einige Anmerkungen zum Stadtteil Dietenbach zu
machen.

51 % der Flächen des vorgesehenen Geländes befinden sich in
Privatbesitz. Die Verhandlungen zur Eigentumsübertragung werden schwierig
werden. Es ist ehrenwert, dass die Stadt Enteignungen vermeiden und eine
einvernehmliche Lösung suchen will. Alles andere wäre unvertretbar. Völlig klar
ist jedoch, dass am Ende ein erheblich höherer Preis für den Erwerb bestehen
wird als mit den vorgesehenen 15 Euro pro Quadratmeter.

So erscheint es als ausgesprochen willkommene Lösung, dass
wie ein Deus ex machina die Sparkasse als Kooperationspartner in Erscheinung
tritt. In der uns und der Öffentlichkeit präsentierten Darstellung sind damit
die Probleme vom Tisch: die Bank zahlt deutlich mehr, die Verkäufer sind
zufriedengestellt, die Stadt kann ihrer Zielsetzung nachkommen, und die
Sparkasse wird die Grundstücke schon irgendwie wieder mit Gewinn veräußern. Nun
ist eine Bank ja kein karitativer Verein; sie kann nicht bloß als Vermittler im
Interesse der Stadt auftreten, sondern muss Gewinn erwirtschaften. Man braucht
nur wenig nachzudenken, um sowohl die Verteuerung als auch die prinzipielle
Ungewissheit in diesem Modell zu erkennen.

Selbst wenn die Abwendungsvereinbarung den Prozess
juristisch klar regelt, bleiben neben dem Optionsvertrag noch mehrere weitere
Unsicherheiten, wie sie auch im Abschnitt 3.4 der Drucksache benannt sind.

Die spätere Vermarktung wird ganz wesentlich vom
Einstiegspreis der Investoren abhängen; dasselbe gilt für die Chancen einer
Verwirklichung durch Baugruppen und andere Interessenten. Das Grundproblem
besteht in der komplexen Abhängigkeit aller Beteiligten von mehreren Faktoren,
die sich gegenseitig beeinflussen und weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit
mit zuverlässiger Klarheit absehbar sind. Das ist in der Drucksache auch rein
sprachlich wiedergegeben (Zitate): „hinreichend sicher prognostizieren können“
– „hinreichend konkret formuliert“ – „sollen … hinreichend kalkulierbar sein“.

Prognosen haben als klares Charakteristikum die
Ungewissheit. Deshalb muss allen bewusst bleiben, dass man sich bei dieser
Planung auf dünnem Eis bewegt.

Immerhin erkennt die Verwaltung bereits jetzt die Gefahr
eines Überbietungswettbewerbs. Allerdings werden, das muss schon heute als
sicher gelten, die Grundstückspreise auch ohne diesen in einer unerwünschten
Höhe liegen. Damit ist sichergestellt, dass die Spirale der Mietpreise weiter
nach oben gedreht wird. Wie verlässlich diese gefährliche Entwicklung eintreten
wird, kann man an Vauban und Rieselfeld erkennen, die nach der verträglichen
Anfangsphase inzwischen die Mietpreise in die Höhe treiben; und das, obwohl bei
beiden wesentlich günstigere Ausgangsvoraussetzungen bestanden.

Die Bedeutung der Kosten- und Finanzierungsübersicht ist gut
dargestellt; ihre Inhalte sind indes wenig glaubwürdig. Ursprünglich bestand
ein Defizit von 56 Millionen, zusätzlich noch von 98 Millionen, die angeblich
der Gesamtstadt zugute kommen (In welcher Weise eigentlich? Und wirklich in
vollem Umfang?). Nun wird eine „Überarbeitung“ vorgelegt, durch die das Defizit
völlig verschwunden ist. Hier lohnt ein genauer Blick.

Die Einnahmen sollen erhöht werden durch größere
vermarktbare Grundstücksflächen (Verlegen der Leitungen): das ist eine richtige
Maßnahme. Aber: Einsparungen von sieben Millionen sind spekulativ, die Kosten
nicht sicher planbar, da noch zu verhandeln. Hochspannungsleitungen sind
grundsätzlich in einem Wohngebiet unzumutbar, verstoßen gegen jede gültige
wissenschaftliche Feststellung („großer Abstand“ – von wegen). Dieser
gesundheitsschädigende Faktor bliebe in jedem Fall bestehen. Bezüglich der
Sanierung der Leitungen besteht die gleiche finanzielle Unsicherheit.

Die Ausgaben werden in der Darstellung gesenkt durch
den Kostenteilungsschlüssel (hier fehlen klare Angaben zu diesem Verfahren, es
bleibt im Dunkeln) oder durch Verringerung von entwicklungsbedingten Herstellungskosten
(auch hier gibt es nur die pauschale Aussage ohne konkrete Daten). Eine
Beteiligung des Bundes an den Kosten für den Ausbau der B 31 beruht auf einer
puren Annahme: die Hoffnung stirbt zuletzt. Im Übrigen handelt es sich auch in
diesem Fall um Steuergelder der BürgerInnen. Sehr hohe Kosten entstehen für
Lärmschutz sowie Maßnahmen gegen Hochwasser; diese spezifischen Mehrkosten sind
ausschließlich im Dietenbach-Gebiet erforderlich.

Die Gemeinschaftsschule wird nun kurzerhand nur vierzügig statt
wie ursprünglich mit sechs Zügen vorgesehen. Darin kommt ein klares und
hemmungsloses Primat der Finanzplanung vor sozialen und pädagogischen
Erfordernissen zum Ausdruck. Wo werden eigentlich die anderen SchülerInnen
untergebracht? Am Tuniberg wurde gerade eine Schule geschlossen; wird die dann
wieder neu eröffnet? Und diese oder eine andere zusätzliche Schule gibt es
kostenlos? Deren Kosten müssen, wenn man eine ehrliche Rechnung aufmachen will,
in die Ausgaben für die Dietenbach-Schule eingerechnet werden, denn deren
Verkleinerung verursacht diese anderen Kosten. Das bedeutet einen
Planungsfehler von Beginn an, eine gewollte Verschlechterung; damit liegt
Dietenbach unter dem Niveau anderer Stadtteile oder Orte von vergleichbarer
Größe. Wo ist da eigentlich Nachhaltigkeit? Auch die Diktion ist bemerkenswert:
Da wird auf der Homepage von „über die Stadt zu verteilenden Kapazitäten“
geschrieben; Kapazitäten ist die bürokratische Chiffre für Menschen,
SchülerInnen nämlich, die in großer Zahl acht Jahre lang jeden Tag quer durch
die Gegend fahren müssen, weil von vornherein gegen den bekannten Bedarf falsch
geplant und in dem Stadtteil, den sie bewohnen, keine ausreichende Schule
gebaut wird.

In der Drucksache 17/078 findet sich auf S. 5 oben der
lapidare Satz: „Der angesetzte Zinssatz wird von bisher 2 % auf 1,8 %
abgesenkt“. Das ist eine wunderbare Möglichkeit, Geld zu sparen, so einfach –
könnte man das nicht auch mal für den normalen Bürger einführen, der zu seiner
Bank geht und dann eben mal zehn Prozent weniger zahlen muss? Mit derart
spekulativen Maßnahmen wird hier gerechnet und argumentiert. Gleiches gilt für
den Risikozuschlag, der sich mittels einfachem Entscheid von 15 auf 12,5 %
absenken lässt. Frage eines Unbedarften: Wofür sind solche finanztechnischen
Größen eigentlich da und wofür sind sie gut, wenn man sie in dieser lockeren
Form je nach gerade günstigerem Ergebnis verändern kann? Und denkt eigentlich
niemand daran, dass das Projekt Dietenbach aufgrund von Einwänden oder anderer
Ursachen scheitern könnte?

Das klimaneutrale Energiekonzept wird in den Berechnungen
höflich vermieden. Irgendwer muss irgendwann dafür aufkommen – wo stehen diese
Zahlen? Um die Klimaziele der Stadt zu erreichen, ist ein PlusEnergiestadtteil
notwendig; der ist teuer. Auch daraus können sich bislang unberücksichtigte
Mehrkosten ergeben.

Die Reduktion der Quadratmeterpreise im Rahmen des sozialen
Wohnungsbaus führt zu einer höheren Belastung im Gesamtbudget. Diese Kosten
gehören bei einer ehrlichen Aufstellung in die Spalte der Ausgaben für
Dietenbach, nicht in die der übrigen Stadt. Damit erhöht sich das reale Defizit
nochmal. Dies wird in der vorgelegten Neuberechnung verschwiegen.

Durch die beiden letztgenannten Posten steigen zwangsläufig
die Preise, die letztlich die Käufer und Mieter zu zahlen haben werden. Wie
soll so „Bezahlbarer Wohnraum“ für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen
erreicht werden?

In der Gesamtschau zeigt sich dem kritischen Betrachter
eindeutig, dass hier sehr viel Wunschdenken im Spiel ist. Der Begriff Optimierungen“ ist eine
euphemistische Verharmlosung der vorhandenen Probleme. Hier wurde die Planung
so verändert, bis die Zahlen stimmen, und das innerhalb drei Monaten, nachdem
schon seit Langem hauptamtlich und vollzeitig geplant worden war; aber jetzt
geht‘s auf einmal. Und so lassen sich die vielfältigen Probleme dieses
Projektes auf wundersame Weise allerliebst lösen.

Als Zielgruppen sind definiert: „Bezahlbarer Wohnraum für
untere und mittlere Einkommensgruppen“. Ja wunderbar, genau das brauchen wir –
bloß wird das im Dietenbach-Gelände nie und nimmer zu verwirklichen sein. Schon
die unabweisbaren Eingangsvoraussetzungen machen ein solches Ziel, so
wünschenswert es ist, zur völligen Illusion. Es wird zu einer Exklusion genau
der Gruppen kommen, an die wir im Besonderen denken müssen.

Als Ziel ist über vielen schönen Photos der Präsentation
geschrieben: „Entwicklung eines nachhaltigen, bedarfsgerechten und lebenswerten
neuen Stadtteils“ – lebenswert könnte er vielleicht in Teilen werden; bedarfsgerecht
wegen seiner Kosten keinesfalls; aber nachhaltig, das wird er wirklich:
Die dauerhafte, irreparable Zerstörung einer großen natürlichen Fläche von
erheblicher ökologischer Bedeutung; die ökonomische Schädigung zahlreicher
landwirtschaftlich tätiger Bürger; das Fehlen der vorgeschriebenen
Ausgleichsflächen; eine beträchtliche Reduktion der regionalen Landwirtschaft,
d.h. der Möglichkeiten einer Ernährung mit regionalen Produkten, also das
krasse Gegenteil vernünftiger Strukturpolitik – ein echtes Markenzeichen der
selbsternannten Green City.

Als konstruktive Empfehlungen seien hier nur stichwortartig
genannt: Innenentwicklung; Zweckentfremdung-Satzung; Leerstands-Kataster;
Ferienwohnungen; höhere Bebauung, wo immer mit der Umgebung verträglich; und
eine Menge weiterer Möglichkeiten. Von allen anderen Nachteilen abgesehen, ist
Neubau auf der Wiese in jedem Fall zwangsläufig teurer als Innenentwicklung.

Der Stadtteil Dietenbach ist eine katastrophale
Fehlentscheidung.

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